KLASSIK
CDs
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NEUES
AUS
DER
M U S I K W E L T
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Chopins
2 4
Préludes. Im direk-
ten Vergleich mit seiner Aufnahme
von
199 5
zeichnet sich die aktuel-
le Produktion durch natürlicheren
Spielfluss und noch feineres Abtö-
nen aus, außerdem ist bei einzel-
nen Stücken, etwa im virtuos-im-
promptuartigen Prélude Nr.
16
b-Moll und dem ekstatischen Nr.
22
g-Moll, sein Zugriff nicht so forsch
und kraftvoll. Zu den Höhepunk-
ten gehört das dämonische Prélu-
de Nr.
8
in fis-Moll, eine Skizze des
Wahnsinns und von Sokolov unge-
heuer dramatisch dargeboten, das
mit feinster Pianissimo-Kultur inter-
pretierte Nr.
4
in e-Moll sowie das
betörend graziös gespielte Nr.
11
in
Grammophon.
Da der Künstler
Studioaufnah-
men
prinzipiell
ablehnt,
wähl-
te er dafür einen
Konzertmitschnitt
aus Salzburg von
2 0 0 8
, seine ers-
te veröffentlichte
Einspielung seit
vielen Jahren.
Den
Haupt-
teil des Doppel-
albums
bilden
Frédéric Chopin,
Wolfgang Amadeus Mozart u. a.
SOKOLOV - THE SALZBURG RECITAL
DG/Universal 2 CDs
(109
')
Es ist fast eine Sensation: Mit
64
Jahren debütiert das russische Kla-
vierphänomen Grigory Sokolov bei
einem Majorlabel, der Deutschen
CD
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H-Dur. Doch auch in den anderen
Stücken des Zyklus zeigt Sokolov
nicht nur, dass er zu den Pianisten
mit dem größten farblichen und dy-
namischen Spektrum gehört, son-
dern auch, dass Chopins Werken ei-
ne Tiefendimension innewohnt, die
der von Schubert und Schumann
vergleichbar ist. Man muss sie nur
herausarbeiten.
Da kann man es auch verschmer-
zen, dass er in Mozarts frühen
F-Dur-Sonaten KV
280
und KV
332
eher apollinisch dem Schönklang
frönt und energische Forte-Ein-
würfe und Sforzati oftmals glät-
tet. Die sechs (!) Zugaben wiede-
rum sind interpretatorisch so
originell, zwingend und pianis-
tisch ausgefeilt, dass man aus
dem Staunen nicht mehr heraus-
kommt: ein ergreifend wehmüti-
ger Gesang die cis-Moll-Mazur-
ka, erotisch angehauchter Far-
benzauber und prickelnde Virtuo-
sität in Skrjabins „Poèmes“ und
ein Fest des Pralltrillers in Rame-
aus „Sauvages“ . Alleine deswe-
gen lohnt sich die Anschaffung
des Albums.
Mario-Felix Vogt
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
|
Ernest Bloch, Pablo Casals u. a.
PRAYER
So
l Gabetta, Amsterdam
Sinfonietta, Candida
Thompson, Orchestre National de Lyon, Leonard
S
latkin, Cello Ensemble Amsterdam
Sinfonietta
Sony CD____________________ (59")
Unter dem Titel „Prayer“ sind auf
dieser CD Werke versammelt, die
der jüdischen Klangwelt und Mu-
siktradition nahestehen bzw. von
ihr inspiriert sind. Hauptwerk ist
„Schelomo“ von Ernest Bloch, rhap-
sodisch komponiert, aber deshalb
nicht formlos, sondern ein Meis-
terwerk.
Nur ein organisches, werküber-
greifendes Konzept, eine klare Kon-
tur ist in dieser Interpretation kaum
zu erkennen. Gabetta gibt sich hoch
expressiv, sie entäußert sich förm-
lich, reiht Aussage an Aussage.
Doch das Bild rundet sich letztlich
nicht, es bleibt episodenhaft und
fragmentarisch, und die emotio-
nale Glut scheint wie verschwen-
det, sie trifft nicht wirklich den Nerv
der Musik. Von außen herangetra-
gene Gefühligkeit, eine Art mitlei-
dende Emphase - hier wird „jüdi-
scher Weltschmerz“ eher strapa-
ziert als glaubhaft nachempfunden.
Von Traurigkeit durchweht ist die-
se Musik ohnehin schon, Gabettas
überformender Eingriff erscheint
eher unangemessen. Blochs Musik
ist so gut und bezwingend, dass sie
keine übertriebene Dramatisierung
verträgt. Sonst verliert sie und wirkt
zweitklassig. Entweder die „jüdi-
sche Seele“ spricht aus Bloch he-
raus oder nicht, man kann sie nicht
hineintragen.
Das trifft grundsätzlich auch auf
die übrigen Stücke von Bloch zu, die
hier versammelt sind. In den extra
für diese Aufnahme für Violoncello
und Orchester arrangierten vier jü-
dischen Volksliedern von Schostako-
witsch beschwört Gabetta den „jü-
dischen Klang“ mit Portamenti und
Glissandi fast karikierend, etwa in Nr.
3
„Lullaby“. Am Schluss steht dann
der berühmte „Gesang der Vögel“
von Pablo Casals, fast ein versöhn-
licher Ausklang.
Norbert Hornig
★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★
Anouar Brahem
SOUVENANCE
ECM
/Universal 2 CDs
„Souvenance“ („Erinnerung“) hat
der tunesische Komponist Anouar
Brahem seine CD genannt, auf der
sich die Umwälzungen des „Ara-
bischen Frühlings“ musikalisch
Bahn brechen: als eine aus der Er-
innerung geschöpfte Transforma-
tion von Stimmungen in Musik. Und
trotzdem gibt es nicht die konkrete
Bezugnahme, sondern nur die ge-
ahnte, die subtil auf den Hörer ein-
wirkt. Hinter dem scheinbar Stati-
schen der zumeist karg instrumen-
tierten Kompositionen verbirgt sich
eine Vielfalt musikalischer Emotio-
nen. Die äußerlich entwicklungsar-
me Musik hat einen innendynami-
schen Spannungsgehalt, der das
Hören zum Abenteuer macht.
sts
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
ro s i 1
AN
TITTE
Wo fgang Amadeus Mozart
COS) FAN TUTTE
S
imone Kermes, Malena Ernman, Christopher
Maltman u. a., Musicaeterna, Teodor Currentzis
Sony 3
CDs__________________ (177")
Was da in Sachen Mozart-Interpre-
tation seit Kurzem vom Ural zu uns
herüberweht, ist ein scharfer Ost-
wind, der alle frösteln macht, die
es sich im philharmonischen Wohl-
klang mitteleuropäischer Prägung
gemütlich gemacht haben. Jetzt le-
gen der Grieche Teodor Currentzis
und sein Ensemble Musicaeterna
aus dem fernen Perm die „Cosi“ vor.
Ob die Sichtweise, die sich hier of-
fenbart, allerdings wirklich so ra-
dikal neu ist wie es uns Label-PR
und Teile der geschätzten Kolle-
genschaft gerne glauben machen
wollen, darüber lässt sich trefflich
streiten, wenn man zum Beispiel
die erst rund anderthalb Jahrzehn-
te alten Einspielungen unter René
Jacobs zum Maßstab nimmt. Das
fängt schon bei der Tempowahl
an. Wer Currentzis’ „Cosi“-Ouver-
türe schnell findet, dem sei gesagt,
dass Jacobs mit noch gut
40
Sekun-
den weniger auskommt. Nun ist
Musikmachen kein Hochleistungs-
sport, bei dem Zehntelsekunden
über Wohl oder Wehe entscheiden.
Letztlich zählt gestalterische Plau-
sibilität, und die ist in beiden Fäl-
len gegeben.
Mit seinem durch die Bank hoch-
karätig besetzten Ensemble lie-
fert der neue Shootingstar unter
den Alte-Musik-Dirigenten eine
bis ins kleinste Detail durchdach-
te und entsprechend ausformulier-
te Umsetzung der Partitur. Farben-
reich und spannungsgeladen ge-
rät die Wiedergabe dieses Opern-
klassikers, wobei man an der ei-
nen oder anderen Stelle durchaus
ein Zuviel an vordergründiger Bril-
lanz und Stimmakrobatik konsta-
tieren kann. Dennoch: Wir haben es
hier mit einer technisch und musi-
kalisch exzellenten Einspielung zu
tun, der eine sehr moderne, sehr
zeitgemäße Auffassung zugrunde
liegt. So was darf dann gerne auch
mal polarisieren.
Arnd Richter
MUSIK ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
132 STEREO 2/2015
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht